Nach 20 Jahren Kritik: Die Geschichte von dem Ballettdirektor und der Attacke mit dem Hundekot
Schwer zu glauben, aber wahr: Marco Goecke, der Ballettdirektor der Staatsoper Hannover, hat die Tanzkritikerin der FAZ Wiebke Hüster attackiert - und zwar mit Hundekot und während einer Ballettpremiere. Hier die ganze unglaubliche Story der Reihe nach...
Premiere des Balletts 'Glaube - Liebe - Hoffnung' in Hannover am Samstag Abend, den 11. Februar. Ein normaler Arbeitstag für die Journalistin Wiebke Hüster und den Ballettchef Marco Goecke. Aber als sich beide in der Pause im Foyer des Opernhauses begegnen, er mit seinem Dackel an der Leine, beginnt der Alptraum.
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Hüster hatte kurz davor eine verheerende Kritik über Goeckes Ballettinszenierung 'In the Dutch Mountains' mit dem Nederlands Dans Theater in Den Haag geschrieben. Hier ein Auszug: "Man wird beim Zuschauen abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht … Das Stück ist wie ein Radio, das den Sender nicht richtig eingestellt kriegt."
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Wütend, so berichtete Hüster der Nachrichtenagentur dpa, habe er ihr vorgeworfen, dass sie schlimme persönliche Kritiken verfasse. Dann habe er sie gefragt, was sie bei der Premiere zu suchen habe und ihr schließlich mit Hausverbot gedroht.
In einem Interview mit dem NDR schildert Wiebke Hüster was dann passiert ist: "So schnell konnte ich gar nicht gucken, hatte ich diese Tüte mit Hundekot in meinem Gesicht. Der hat die im Nullkommanichts aus der Tasche gezogen und sie mit der offenen Seite auf meine rechte Wange geknallt und verrieben. Dann hat er diese Tüte einfach so ins Foyer auf den Boden geschmissen, hat sich dann umgedreht und ist weggegangen."
"Ich war in Schockstarre", sagte die Kritikerin der FAZ dem NDR und erklärte weiter: "Ich habe mich gefühlt wie ein Tier über das ein Löwe hergefallen ist. Ich habe mich gefragt: Lebe ich noch? Bin ich unversehrt? Dann habe ich diese Tüte gesehen, habe realisiert, was das ist und habe geschrien.
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Die Pressesprecherin des Theaters half ihr, sich zu säubern. Danach fuhr Hüster zur Polizei und erstattete Anzeige. Laut DW ist sie überzeugt, dass der Ballettdirektor die Attacke geplant habe: "Das war Vorsatz." Möglich, denn warum sollte jemand die Exkremente seines Hundes mit in das Foyer einer Oper nehmen?
Während der widerwärtige Angriff auch im Ausland kommentiert wurde, versuchte der Künstler sich in einem NDR-Interview zu rechtfertigen: "Sie hat mich auch jahrelang mit Sch... beworfen."
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Anstatt sich zu entschuldigen, warf Goecke der Journalistin unsachliche und rufschädigende Kritik vor. "Seit 20 Jahren schreibt diese Frau schreckliche Sachen über mich - jetzt ist das Fass übergelaufen". So seine Argumentation.
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Laut Hüster ist die Realität anders: "In einem Zeitraum von 17 Jahren habe ich neun Mal in der FAZ über Stücke von Marco Goecke geschrieben. Von diesen neun Kritiken waren zwei überschwänglich positiv", erklärte sie gegenüber dem NDR.
Im Bild: Rosario Guerra probt das Stück 'Infant Spirit' des Choreografen Marco Goecke.
Mittlerweile hatte die Leitung der Staatsoper Hannover bereits reagiert und ihren Chefchoreographen suspendiert und Hausverbot erteilt. "Er hat der Staatsoper und dem Staatsballett Hannover massiv geschadet" hieß es in der Stellungnahme.
Goeckes schriftliches Statement, das ihm möglicherweise sein Management formuliert hat: "Ich möchte mich bei allen Beteiligten an erster Stelle bei Frau Hüster, für meine absolut nicht gutzuheißende Aktion aufrichtig entschuldigen. Im Nachhinein wird mir bewusst, dass dies eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion war.“
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Das half nicht seinen Job zu retten. Fünf Tage nach dem Eklat beendete der Hauptarbeitgeber die Zusammenarbeit mit dem Choreographen. Das teilte die Intendantin der Staatsoper Hannover, Laura Berman (im Bild links mit dem Niedersächsischer Kultusminister Falko Mohrs), bei einer Pressekonferenz mit. Der Vertrag sei "in gegenseitigem Einverständnis" aufgelöst worden.
Auch die FAZ, der Arbeitgeber der angegriffenen Journalistin, hat sich natürlich zu Wort gemeldet. Neben der Körperverletzung wertete die Zeitung den demütigenden Akt auch als "Einschüchterungsversuch gegenüber unserer freien, kritischen Kunstbetrachtung", der "das gestörte Verhältnis eines Kunstschaffenden zur Kritik" offenbare.
Goecke , der im April 1972 geboren wurde, war seit der Spielzeit 2019/20 Ballettdirektor in Hannover. Als Choreograph umfasst sein Werk 60 Kreationen, die auf renommierten europäischen Bühnen aufgeführt wurden, wie Paris, Den Haag, Wien, Zürich, Berlin oder Stuttgart. Erst im Mai 2022 wurde Goecke mit der bedeutendsten nationalen Auszeichnung der Tanzwelt geehrt: dem deutschen Tanzpreis.
Im Bild: Marco Goecke (mitte) als er 2006 seinen Preis bei der Verleihung der Nijinsky Awards erhält.
Laut Hallo München hat das Bayerische Staatsballett in München den tätlichen Angriff Goeckes zwar ausdrücklich verurteilt, behält aber trotzdem zwei Werke des Choreographen im Programm.
Im Bild: Die Choreographie 'Die sieben Sünden' von Marco Goecke.
Die Probleme zwischen Künstlern und Kritikern sind nicht neu. Karin Beier, Intendantin des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg erklärte 2021 gegenüber Deutschlandradio, was sie von Kritiken und Rezensionen hält: sie seien "Sch... am Ärmel der Kunst". Und wer erinnert sich nicht an die Wutausbrüche von Klaus Kinski gegenüber Journalisten? Unschön, aber kein absolut inakzeptabler tätlicher Angriff wie im Fall von Marco Goecke, der um die ganze Welt gegangen ist.